Kennen Sie das? Man betritt ein Haus, schnuppert nur kurz die Atmosphäre – und hat ein Gefühl wie Nach-Hause-kommen. (Dänen würden das »hyggelig« nennen.) Fünf Jahre nach der Schließung hat die traditionsreiche Weinstube im alten Ortskern von Harxheim wieder eröffnet. Es scheint, als sei die Zeit stehen geblieben. Natürlich hat die neue Chefin des Hauses, Martina Herzog, viel Arbeit in das alte Fachwerkanwesen gesteckt, restauriert, modernisiert. Aber der Wohlfühl-Zauber der früheren Scheune ist geblieben. Vom eigenwilligen kleinen Entrée nach der alten Scheunentür führen Holztreppen und Halbtreppen auf die gegeneinander versetzten Ebenen und schaffen so kleine, vermeintlich abgeschiedene Inseln zwischen Natursteinmauern,
Sichtfachwerk, und stilsicher ausgesuchter Deko.

So bodenständig wie das Ambiente will auch die Gastro­nomie der Weinstube sein. Regionales, oft pfiffig aufgepeppt, prägt die Küche. Kotelett und Wildbratwurst, Schwartenmagen-Carpaccio oder Blut- und Leberwurst-Strudel stehen für ein selbstbewusstes Bekenntnis zur bürgerlich-bäuerlichen Küche der Heimat, Flammkuchen mit Ziegenkäse und Honig, Roastbeef oder Gemüse-Kokoscurry mit Basmatireis für den kecken Blick über den regionalen Tellerrand und das zu angemessenen Preisen.

Schnell ist unsere Wahl getroffen. Soleier (6,80 €) von glücklichen Hühnern sollen es sein. Statt der in der Karte versprochenen zwei stehen schnell sogar drei gekochte Eier im Essigsud vor uns, dazu gibt es eine Gurkenstulle mit frisch aufgeschnittenen Gurkenscheiben wie bei Muttern. Etwas Salz bringt der stets gut aufgelegte, aufmerksame und außerordentlich flinke Service noch dazu. In einem großen Einmachglas erscheint der Harxheimer Handkässalat (11,80 €). Gewürfelter reifer Handkäse ist abwechselnd ins Glas geschichtet mit Apfelschnitzen, roten Zwiebeln, Feldsalat und Radicchio. Harmonisch verbunden werden die Zutaten durch viele Kräuter und ein crèmig-leckeres Dressing. Auch die Kürbiscrèmesuppe (7,80 €) hat alles, was sie braucht. Die gerösteten Kerne geben den knackigen Kontrast zur sanften Crème, Kürbiskernöl unterstützt den Geschmack. Einzig die Croutons, die in Suppe ohnehin meist vor sich hin weichen, hätte es nicht gebraucht, zumal in der Crèmesuppe noch zarte Stückchen vom Hokkaido zu finden sind.

Dass eine Weinstube in einem Anbaugebiet eine ordentliche Auswahl regionaler Weine hat, darf man erwarten. Die Karte in der Harxheimer Weinstube ist dennoch besonders. Einer Verbeugung vor den Weingütern der unmittelbaren Nachbarschaft folgt eine umfangreiche Liste rheinhessischer Weine und Erzeuger, die mit Kenntnis kuratiert und mit Genuss zu lesen ist. Da geht es nicht um Lagen-Marketing oder große und kleine Namen der Branche, sehr wohl aber um Terroir und Aromatik. Auf den Punkt gebrachte sensorische Beschreibungen helfen bei der Auswahl aus allein schon über dreißig offenen Weinen, die durchweg knapp unter oder über sechs Euro für den Schoppen kosten. Das Angebot der Flaschenweine ist vom gleichen Verständnis geprägt. Kein Wunder also, dass die rote Drei-Reben-Cuvée »Tres Vites« von G.G. Huff aus Nierstein und die trockene Scheurebe von Tobias Becker in Mommenheim mit ihrer ausgeprägten Frucht und mit Gewürzen im einen und Kräutern im anderen Fall vorzügliche Begleiter zum Essen sind.

Die Hauptspeisen stehen nämlich schon auf dem Tisch. Die Kalbsleber Berliner Art (19,80 €) ist perfekt: scharf und krustig angebraten, innen noch rosa und butterzart. Geschmorter Apfel und Zwiebeln haben noch Biss. Im fluffig-lockeren Kartoffelpüree belegen vereinzelte Kartoffelstückchen: Hier kommt nichts aus der Tüte. Das gilt auch für den »Gewürzgockel« (21,80 €) und seine Bei­lagen, Das kräftig angebratene Brustfleisch ist gerade noch rechtzeitig aus dem Feuer gekommen und hat noch Saft. Das knackige Ratatouille und würzige Rosmarin­kartoffeln bezeugen routiniertes Küchenhandwerk. Zu preisen sind ebenfalls die vegetarischen Spinatknödel (14,80 €): Drei große, zarte, schön gewürzte Knödel baden in aromatischer Salbeibutter und werden getoppt von zartschmelzenden gehobelten Parmesanspänen.

Die Weinstube ist an diesem Werktagsabend durch­gehend voll besetzt. Die Chefin, Martina Herzog ist die gute Seele der Harxheimer Weinstube und hat ihre Leidenschaft auf ihr Team im Service und am Herd übertragen. Bessere Botschafter kann Rheinhessen kaum haben.

ESSEN8,0
TRINKEN9,0
SERVICE8,5
AMBIENTE9,0
PREIS/LEISTUNG8,5
ERGEBNIS8,6

Enggasse 1 | 55296 Harxheim
Tel. 06138 941 46 52
www.harxheimer-weinstube.de
mail@harxheimer-weinstube.de
geöfnet: Do bis Mo 17 bis 23 Uhr;
Di und Mi Ruhetag

Vorspeisen: 2,50-13,80 €
Hauptspeisen: 13,80-21,80 €
Desserts: 7,80-10,80 €
Offener Wein (0,2 l): 4,50-6,90 €