Unter der Ägide des neuen Küchenchefs Helge Straub wurde die Genusswerkstatt im puristisch-eleganten Gastraum des Atriumhotels wieder eröffnet. Deutlich ist die Handschrift des neuen Meisters zu erkennen, der handwerkliche Kreativität, Ehrlichkeit, Nachhaltigkeit, Perfektion zu seinem Qualitätscredo macht. Setzte sein Vorgänger schwerpunktmäßig auf vegetarische Kost, so stellt Helge Straub seine Gerichte betont breiter auf und bietet dem Gast neben Gemüse auch Fisch und Fleisch in vielfältiger Variation bei seinem eigenen, modern interpretierten Spiel von Textur und Geschmack. Umfassende Erklärungen liefert er auf Wunsch bei seinem Service dazu. Die Ausrichtung ist selbstverständlich saisonal/regional, Hersteller und Lieferanten werden zur Kenntnis gebracht.
Das beeindruckende Weinangebot des Atriumhotels – sehr übersichtlich geordnet nach Weingütern der Heimat, erweitert um beachtliche deutsche Winzer und Anbaugebiete, sowie um Exquisites aus dem näheren und ferneren Ausland – wird in der Genusswerkstatt als vorzügliche Weinreise, passend zu jedem Gang, angeboten (pro Glas 11 €), kenntnisreich und feinfühlig ausgesucht und mit umfangreichem Fachwissen kredenzt von der jungen, stets präsenten, aufmerksamen und freundlichen Sommelière Maike Witfang. Den feinen Champagner »Invitation« mit seinem Hefeduft serviert sie uns nun zur »Einstimmung« aus der Küche. Und die hat es gleich in sich: liebevoll und hinreißend gestaltete kleine Köstlichkeiten werden uns da (wie auch bei den weiteren Genuss-Abfolgen) auf bemerkenswert ausgefallener Keramik serviert.
Handkäs‘ als Espuma
Ziegenkäse und mixed pickles in einer Dampfnudel, Aal und Forelle als Rote Bete – Sülze, ein wundervoll gewürztes Tatar mit Kräuter-Crème fraîche in einer Waffel kosten wir bei dieser Einstimmung als Miniaturen und wir sind sogleich hingerissen. Dem setzt sich rasch die Mainzer Brotzeit entgegen mit knusprigem Sauerteigbrot von der Bäckerei Vetter, mit klassischem Spundekäs‘, mit schmackhaften, kleinen Zwiebelküchlein (ohne Speck), mit der tollen Nussbutter und mit wunderbarem Handkäs‘ als Espuma und Tatar und mit Kümmel – versteht sich. Wir schwelgen bereits mit Begeisterung.
Mit den alten Reben des frischen und eleganten Weißen Burgunders 2021 von Saalwächter, Ingelheim, haben wir nun einen breiten Wein mit viel Kraft im Glas, mutig zum Fisch, aber eine tolle Ergänzung. Denn es leuchten uns zwei Streifen vom vorzüglichen, kurz gebeizten Saibling entgegen, sanft crèmig, innen noch roh. Begleitet von abgeflämmtem, gepickelten Kohlrabi, von Dill-Mayonnaise und einem zart knusprig gebratenen Fischhautchip liegt er in einer phantastischen Räucherfisch-Vinaigrette mit Forellenkaviar und Dillöl in einer großen Keramik-Austernschale. Was für ein Anblick und was für eine delikate Komposition!
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Es folgt die persönliche Visitenkarte des Küchenchefs: das Tafelspitz-Tatar mit Johannisbeeren und Walnüssen, angemacht mit einer hervorragenden, leichten und säuerlichen Mayonnaise, gebettet in eine ausdrucksstarke Waldpilz-Jus, dabei Sellerie in drei Texturen. Ein wohlschmeckendes, tolles Erlebnis unter knusprigem Selleriestroh, begleitet vom trockenen 2022er Pfälzer Rosé Phaenomen vom Weingut St. Meyer aus Rhodt unter Riedburg, dezent untermalend, mit gleicher Farbe wie die Johannisbeeren. Der goldgelbe Riesling Doosberg GG von 2012 mit seinem leichten Rosenduft vom Weingut Kühn aus Oestrich-Winkel ist in Ruhe und Würde gealtert. Er ist kräftig, gehaltvoll und charaktervoll und hat zarten Schmelz. Perfekt begleitet er das ebenfalls zart schmelzende Eigelb in Nussbutter, assistiert von Blumenkohltexturen (püriert, fermentiert, frittiert), von crunchigen, gerösteten Bucheckern und ihrem Öl und von einer intensivgrünen, dominanten Grüne-Kräuter-Soße. Frische Kresse gibt ihren Geschmack dazu – wie übrigens auf einigen Tellern die aromatischen Kressevariationen auffallen: Honigkresse, Kapuzinerkresse, Aniskresse, Kürbiskresse… auch einige Blüten steuern ihren jeweiligen Geschmack bei.
Würzig-zartes Ragout
Wir nähern uns den Hauptgängen, da wird uns heute die Ente präsentiert. Aus der Keule hat Helge Straub ein würzig-zartes Ragout gezaubert. In einem knusprigen, dünnen Kartoffelring trägt es eine Haube von luftigem Kartoffelespuma, obenauf finden sich Schnittlauchröllchen und – sehr harmonisch dazu – Blüten vom Knoblauch. Der trockene 2018er Chardonnay R von Ökonomierat Rebholz aus der Pfalz hat viel Sonne gesehen, er begleitet kalkig, salzig, mit Mineralität im Abgang. Den zweiten Teil der Ente bildet ein exzellentes, perfekt rosa gebratenes, zartes Stück von der Brust mit angenehm salzig-krosser Haut. Wunderbar!
Petersilienwurzel (als Püree, als Chip), herbe Kirschen, ein kleiner Pumpernickelknödel und eine Jus mit Fichtensprossenaroma sind die phantastischen Begleiter. Nun darf aber der blassrote, naturtrübe, ungefilterte Naturwein Morgen Edition 3 von Meinklang aus dem Burgenland dazu ins Glas. Er beeindruckt mit erkennbarem Pflaumenduft, Pflaumen sind auch darin verarbeitet, wie uns Maike erklärt, und sein zum Gericht ausgezeichnet passender Geschmack verführt sogleich zum Nachschenken…
Ein lindgrünes, dezentes Sorbet vom grünen Apfel mit Ragout von Gurke und Granny Smith, dabei ein wenig Joghurtgel erdet uns auf das Angenehmste nach den sättigenden Fleischportionen. Aber wir können natürlich noch das zartsüße Dessert genießen mit sanfter Karamellcrème, mit Birnenragout, -gel, -sauce, mit ganzen Haselnüssen, mit dem vorzüglichen Haselnusseis und dem ganz besonderen, köstlichen und ausgefallenen Honigcrunch. Der tolle 2022er Riesling Kabinett Zeltinger Sonnenuhr vom Weingut Molitor aus Bernkastel/Mosel dazu ist duftig, komplex und von dezenter Süße.
Aber ein paar kleine, hocharomatische Abschluss-Miniaturen warten zum Kaffee noch auf uns: ein Canelé mit dem Geschmack von Orange, Vanille, Rum, ein leuchtend gelber Pfirsich-cheesecake, ein Brombeerfruchtgummi mit Zuckerrand. Wir sind überwältigt von Helge Straubs Kreativität und seinem handwerklichen Können, von der Optik und der Qualität seiner Produkte, von seiner Lust auf Neues. Die Genuss-Abfolgen sind ein besonderes Erlebnis, das Preis-Leistungsverhältnis ist dabei erfreulich.
ESSEN | 9,5 |
TRINKEN | 10 |
SERVICE | 10 |
AMBIENTE | 9,5 |
PREIS/LEISTUNG | 9,5 |
ERGEBNIS | 9,8 |