Ein besonderes Moment innerhalb der rheinhessischen kulinarischen Landschaft bildet das Erlebnis der »Genusswerkstatt« in den Räumen des Atriumhotels. Im lichtgedämmten, farblich zurückgenommenen, modernen Ambiente hat der Gast die Möglichkeit, sich völlig auf die dargereichten Genüsse aus der Küche von Carl Grünewald zu konzentrieren, der in jedem seiner Gänge den Fokus auf das Wesentliche des Produkts zu legen vermag, alles dekorativ und stimmig dargeboten in irdenem Geschirr. Elf aufeinander abgestimmte Genusserlebnisse aus der »Werkstatt« der Küchencrew offenbaren Absicht, Philosophie und Handschrift des Küchenchefs, auf dessen Denkweise man sich einlassen muss und die erst die Augen öffnet und Verständnis schafft für die übrigen Speisen im Haus.

Haben Sie schon einmal den Saft des Brokkolistrunks – pur – gekostet? Oder erschmeckt, was man aus den Schoten der Erbsen zaubern kann? Mit den abgestimmten kulinarischen Beigaben und Kräutern eröffnen sich da völlig neue Genusshorizonte. Die Nachhaltigkeit wird dabei groß geschrieben, der Geschmack steht im Vordergrund und ist mitunter verblüffend, die Qualität ist garantiert durch detaillierte Angabe der überwiegend regionalen Produzenten.

Charmant betreut durch die freundliche, junge Milena Bernhard beginnen wir unsere Abenteuerreise durch die verschiedenen Urzustände der Lebensmittel mit einer traditionellen Brotzeit. Dabei sind: warmes, knuspriges Roggen-Dinkel – Brot, Ziegenfrischkäse mit Honig der
hoteleigenen Bienen, sauer eingelegte Karotten mit Liebstöckel, selbst gemachter, luftgetrockneter, feiner Schinken (gewürzt mit Fenchel), Zwiebelküchlein und natürlich die legendäre Nussbutter, frisch aufgeschlagen!

Der Spätburgundersekt vom Weingut Reichsrat von Buhl (Pfalz) ist schön trocken und begleitet uns auch beim Brokkoli-Gang, der das Aroma des Gemüses wie oben bereits erwähnt als grüner Smoothie betont und hervorhebt und mit Dill- und gerösteten Buchweizen­aromen untermalt. Die bissfesten Erbsen – ganz kräftig grün – begegnen uns in einem Sud aus den entsafteten Schoten, darin Schmand und aromatisches Estragon-Öl. Eine außergewöhnliche Darreichung! Die ausgewogene, harmonische Cuvée aus Weißburgunder und Chardonnay 2019 vom Weingut Bischel ergänzt die Kreation durch ganz leichte Honigaromen und wenig Säure.

Das Spiel mit den Gegensätzen und den Texturen begegnet uns weiterhin in der rohen Seeforelle (mariniert in Verjus). Die liegt unter Kohlrabisalat mit Kerbel in einem Buttermilchsud mit Senfsaat und ist aromatisiert mit Johannisstrauchöl, das Ganze eine säuerliche Komposition, die im nächsten Gang, der süßlichen, gebackenen Gelben Bete mit Finther Holunderblütenessig in der Hollandaise (ein Traum!) unter knusprigem Gebrösel aus Röstzwiebeln und Paniermehl ihr harmonisches Pendant erfährt. Der leichte Sommerwein mit der Rose in Duft und Geschmack, der Gelbe Muskateller & Goldmuskateller 2019 von Ph. Kuhn/Pfalz, gesellt sich vorteilhaft zur Seeforelle; der sehr fruchtige 2017er Riesling von Nik Weis/Mosel mit erstaunlich wenig Säure zu der Gelben Bete.

Das Bunte Bendheimer Schwein präsentiert sich als mild gewürzte Blutwurst zu einem schlotzigen, bissfesten Kartoffelrisotto, darin würziger Sbrinz aus der Schweiz. Carl Grünewald, der neben seiner anstrengenden Küchentätigkeit Zeit findet, um jede seiner Interpretationen an allen Tischen darzureichen und zu erklären, weiß nun sogar den Namen des Angus Rinds aus Aberdeen (Storm, 13 Jahre alt), das uns das zart und fest gedämpfte Schmorstück aus der Schulter liefert. Ein Blatt Spitzkohl mit eingeweckten Bärlauchfrüchten und die feine Sauce aus den Knochen, die wir noch mit dem frischen Brot auftunken, umspielen das schmackhafte Fleisch. Das Weingut Neus aus Ingelheim ergänzt die Aromen durch den frischen, jungen und trotzdem gereiften 2015er Spätburgunder Alte Reben.

Frankfurter Grüne Sauce als Sorbet, dazu das Ei als Eigelbcrème gibt es als Dessert – eine geniale Idee und Komposition, der mit gepuffter und karamellisierter Gerste Knusprigkeit verliehen wird. Und dann bilden die köstlichen Finther Kirschen mit einem Eis auf Rahmbasis, das aromatisiert wurde mit Kirschpflaumenblüten auf einer Paste aus gerösteten Sonnenblumenkernen nebst etwas Baiser den ganz feinen Desserthöhepunkt zum wunderbar passenden Wein, der reifen, schön ausgewogenen Riesling Spätlese 2015 – Felseneck – vom Weingut Schäfer-Fröhlich von der Nahe. Ein leicht marzipaniger Windbeutel mit feiner Waldmeistercrème darf am Schluss nicht fehlen, genauso wie das Haselnussbaiser und ein kleines Päckchen »gesundes Frühstück« – Müsli und Honig – für den nächsten Morgen. So umsorgt die Küche nach diesem Abend voller klarer, beispielloser Genüsse den Gast vorausschauend und hält den Gedanken an das erlebte, außergewöhnliche Menü der Genusswerkstatt noch lange wach.

ESSEN9,5
TRINKEN10
SERVICE9,5
AMBIENTE9,5
PREIS/LEISTUNG9,5
ERGEBNIS9,6

Genusswerkstatt im Atrium Hotel
Flugplatzstraße 44 | 55126 Mainz
Tel. 06131 4910
www.atrium-mainz.de
geöffnet: Do-Sa ab 19 Uhr

Menü in 11 Gängen: 90 € (incl. Wasser)
Weinbegleitung (auf Wunsch): je Gang 8 € (0,1 l)
offene Weine (0,2 l): 4-7 €